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Kürbis Herbstgemüse mit Gruselfaktor » Marys Kürbissuppe für Freunde

Marys Kürbissuppe für Freunde.
Begleite Fred bei einem unheimlichen Erlebnis in einem ungewöhnlichen Wohnviertel.

Fred mag seinen Job. "Staubsaugervertreter" klingt vielleicht nicht besonders edel, aber für ihn ist es genau der richtige Job. Nicht etwa, weil er Staubsauger so toll findet oder so gerne mit Menschen zu tun hat - für ihn ist der große Vorteil seiner Arbeit die freie Zeiteinteilung. Er kann selbst bestimmen, wann und wie viel er arbeitet. So bleibt genügend Zeit für seine Hobbys und das steht für ihn ganz klar über einem hohen Verdienst oder großem Erfolg.
Seine Hobbys, das sind Laufen und Wandern. Er ist unglaublich gerne in der Natur und immer wenn das Wetter gut ist, zieht es ihn nach draußen. Da kommt ihm ein Job mit freier Einteilung natürlich sehr entgegen.
Der erfolgreichste Mitarbeiter der bekannten Staubsaugermarke ist er nicht unbedingt. Fred setzt sich monatlich ein Pensum, das er - notgedrungen - abarbeiten will, das erreicht er immer. Aber meistens auch nicht mehr. Wenn gegen Ende des Monats absehbar ist, dass er das von sich selbst gesetzte Ziel erreicht, nimmt er sich eben mehr Freizeit.
Reich wird er damit nicht, das ist klar. Doch sein Verdienst ist für ihn völlig ausreichend. Fred ist genügsam. Seine Wohnung ist klein und sehr spärlich eingerichtet, aber was kümmert ihn schon seine Wohnung, wenn er doch sowieso viel lieber draußen ist? Für seine Zwecke ist sie völlig ausreichend, er braucht keinen Luxus.
Fred ist mit seinem Leben zufrieden, er denkt, er hat seinen Weg gefunden - einen Weg, der ihn glücklich macht. Das einzige, was er schade findet, ist, dass er keine Partnerin hat. Doch er gibt die Hoffnung nicht auf, dass er eines Tages eine Frau findet, die seine Interessen teilt und ihn versteht.
Diesen Monat geht sein Plan allerdings nicht ganz auf. Der Oktober hat nur noch wenige Tage und sein Umsatzziel, das ihm eine ausreichende Provision gewährt, ist noch nicht erreicht. War kein guter Monat - zumindest, was die Arbeit angeht. Bezogen auf die Freizeit war es ein richtig guter Monat und das erklärt seinen Rückstand. Statt durch die Gegend zu ziehen und Staubsauger zu verkaufen, hat er diesen Monat besonders viele Wanderungen gemacht. Das Wetter war hervorragend, das musste er ausnutzen - arbeiten kann er ja auch, wenn schlechtes Wetter ist, findet er.
Das muss er nun aufholen. Nun muss er dafür büßen, dass es diesen Monat kaum Tage mit schlechtem Wetter gab.
Eigentlich ist es ganz einfach. Wenn er ein paar große Deals abwickelt, kann er wieder ruhig schlafen. Und das, ohne viel tun zu müssen. Zumindest ein paar neue Kunden gewinnen...
Bis jetzt sieht es allerdings schlecht aus. Die erhofften dicken Fische, die ihm auf der Stelle den Monat retten, bleiben aus, seine heutigen Verkäufe beschränken sich auf einige Staubsaugertüten und eine Spezialdüse zum Absaugen von Vorhängen.
Ihm würde es ja schon reichen, wenn er eines oder mehrere Basis-Geräte verkauft - wenn es sein muss, auch ohne Zubehör. Wenn ein Kunde einen neuen Staubsauger kauft, dann ist der Verkauf von Zubehör ein Kinderspiel. Fred braucht diese Kunden nur in regelmäßigen Abständen zu besuchen und weitere, kleine Aufträge laufen ohne Anstrengung und wie von alleine auf sein Plus-Konto ein.
Der Zeitdruck hilft ihm, ausnahmsweise den Ehrgeiz, den er beim Sport hat, auf die Arbeit zu übertragen. Heute wird er mindestens einen neuen Kunden akquirieren, das ist sein Tagesziel. Und wie im Sport gibt er da nicht auf dem Weg auf - ein Umkehren, bevor er den Gipfel erreicht hat, kommt für ihn nicht in Frage. Auch dann nicht, wenn der Gipfel heute ein Sinnbild für einen neuen Kunden ist.
Schon seit dem frühen Morgen ist er unterwegs. Und da sein Hauptgebiet nichts abgeworfen hat, hat er sich auf den Weg zu einer Neubausiedlung gemacht, die etwas weiter weg ist. Er braucht dringend Frischfleisch und er hofft darauf, dass die Bewohner der neu gebauten Häuser ein Bedürfnis nach Staubsaugern haben, das er natürlich gerne stillt.
Hier gibt es neben einigen, kleinen Mehrfamilienhäusern Reihenhäuser und auch Einfamilienhäuser. Eigentlich eine sehr gute Mischung. Da muss doch etwas gehen!
Doch schon die Hauptstraße des Wohngebietes stellt sich als Fehlschlag heraus. Teilweise wird ihm nicht einmal die Türe geöffnet und die Frauen, die sich ein bisschen mit ihm unterhalten, überzeugt er offensichtlich nicht. Keine einzige lässt ihn in die Wohnung und er kann kein richtiges Verkaufsgespräch zu führen.
Verdammt demotivierend. Doch Fred lässt sich seine Motivation nicht nehmen. Er denkt daran, wie er die letzten Tage des Oktobers nutzen könnte, wenn er es schaffen würde, jetzt noch ein paar Verkäufe abzuwickeln.
Nichtsdestotrotz ist er so entmutigt, dass es ihn inzwischen sogar schon aufmuntern würde, wenn er auch nur einen Staubsaugerbeutel verkaufen würde. Allmählich zweifelt er an seinen Verkaufskünsten und die hat er bis heute als ziemlich solide angesehen. Nichts besonderes, aber völlig ausreichend.
Er klappert also die Straßen weiter ab, setzt bei jeder Haustüre wieder sein gewinnendes Lächeln auf und ist bereit für den nächsten Auftrag. Doch auch die anderen Straßen sind enttäuschend.
Vor der letzten Straße muss er kurz innehalten. Inzwischen hat schon die Dämmerung eingesetzt und er wäre gerne woanders. Seine Runde um den Block laufen, etwas zu Abend essen, Hauptsache, er muss nicht mehr von Türe zu Türe wandern.
Bald. Nur noch eine Straße.
Fred streckt sich, dann geht er auf die verbleibende Straße zu. Doch dann hält er überrascht inne.
Hier hinten, außer Sichtweite der Hauptstraße, am Waldrand, hat die Baugesellschaft offensichtlich versucht, Kosten zu sparen. Die Gleichförmigkeit ist erschlagend - es wirkt, als hätte man gar nicht erst einen Architekten bemüht, sondern einfach einen Hausplan dupliziert. Wie eine Armee von rotbedachten Betonblocks sind die Häuser an der Straße aufgereiht, jedes umgeben von einem Gitterzaun, darin vorne an exakt der gleichen Stelle eine Türe, flankiert von zwei Betonsockeln. Und an jedem linken Sockel ist Klingel und Briefkasten eingelassen.
Aber nicht nur das ist einheitlich. Viel verwunderlicher, ja, richtig gruselig, ist, dass auf jedem Sockel über der Klingel ein geschnitzter, oranger, großer Kürbiskopf thront. Eine Reihe, fast wie mit dem Lineal gezogen, von Kürbissen mit Gesichtern, durch die man das Flackern von Kerzen sieht.
Jedes Haus, jeder Zaun, jeder Kürbis identisch, die ganze Straße entlang. Und als wäre das nicht schon schaurig genug, kommen noch die flackernden Kerzen in den Kürbissen dazu. Kommt im Dämmerlicht besonders gut.
Okay, Augen zu und durch. Das sind Kürbisse, mehr nicht - und dass Neubaugebiete immer unpersönlicher werden, ist ja eine allgemeine Entwicklung, keine Besonderheit dieses Ortes. Immerhin hatten die Leute in der Hauptstraße Glück und wurden von dieser Eintönigkeit verschont.
Fred schiebt seine Tasche auf seiner Schulter zurecht, dann geht er hinüber zur ersten Türe. Bevor er klingelt, mustert er noch den Kürbis.
Ein wirklich schauriger Bursche und soweit Fred das beurteilen kann, sehr kunstvoll geschnitzt. Denn neben Augen und Mund hat dieser Kürbis einige fast menschliche Züge. Durch die Augen strahlt das flackernde Feuer der Kerze.
Plötzlich zuckt Fred zusammen. Die Mimik des Gesichts hat sich doch eben geändert!
Der Kürbis sieht ihn an. Bis gerade eben ging sein "Blick" ins Leere, doch jetzt mustert er Fred. Und sein Blick ist dabei nicht etwa neugierig - er ist feindselig.
Okay, ruhig bleiben. Da spielt ihm doch garantiert nur das Licht einen Streich. Am liebsten würde er laut lachen, die Sorge einfach weglachen, doch das kommt vor der Türe eines zukünftigen Auftraggebers nicht unbedingt gut.
Als er sich wieder auf seine Aufgabe - erst klingeln, dann einen Staubsauger verkaufen - konzentrieren will, kriecht ihm ein Schauer über den Rücken und seine Kehle schnürt sich zu. Irgendetwas ist hier...
Langsam dreht er sich um. Und diesmal kann es nicht nur das Licht sein - die Augenpaare aller Kürbisse in dieser Straße sind auf ihn gerichtet. Sie gaffen ihn an.
Inzwischen leuchtet das Licht der Kerzen in der Dunkelheit rötlich.
Ruhe bewahren, irgendwie Ruhe bewahren. Es klappt nicht wirklich, doch Fred reißt sich zusammen und ertastet mit zitternden Fingern den Klingelknopf. Er wagt es nicht, seinen Blick von dem Kürbiskopf vor ihm zu nehmen.
Ein dunkles "Dong" ertönt aus dem Haus, als er den Knopf drückt. Und für einen Sekundenbruchteil fühlt es sich an wie eine Erlösung.
Allerdings wirklich nur für einen Sekundenbruchteil. Fred zwinkert kurz und auf einmal ist das Kürbisgesicht vor ihm zu einer Fratze verzerrt.
Nicht gut, gar nicht gut. Jetzt ist Fred sich endgültig sicher, dass nicht etwa die Kerzen merkwürdige Schatten werfen - nun dringen nämlich die Flammen aus den Augenlöchern.
Fred ist erstarrt. Immer noch mit dem Finger auf der Klingel starrt er den Kürbiskopf vor sich an, er zittert am ganzen Leib. Und den Blick kann er partout nicht abwenden. Er starrt in die lodernden Augen und dann...
Ganz langsam weichen die Gedanken aus seinem Kopf, die Erinnerungen verblassen. Fred versucht krampfhaft, sie festzuhalten, doch es klappt nicht.
Was tut er hier?
Dann zuckt ein Gedanke durch seinen Kopf. Laufen, er muss Laufen. Weg hier, einfach nur weg.
Seine Tasche gleitet an seiner Schulter herunter, er hält sie nicht davon ab. Im Gegenteil - froh, den Ballast losgeworden zu sein, dreht er sich um und - läuft. Läuft los, läuft die Straße hinunter. Immer schneller und die Erinnerungen an die Kürbisse verblassen langsam, machen einem Glücksgefühl Platz. So schnell wie noch nie, so glücklich wie noch nie, läuft er die Straße entlang und in seinen Augen lodert ein Feuer.
Dann erfasst ihn ein Auto. Fred wird durch die Luft geschleudert.
Er ist schon tot, bevor er auf dem Boden aufkommt.
Als Mary die Türe öffnet, runzelt sie verwundert die Stirn. Niemand steht an der Gartentüre, die Straße ist leer. Dabei hat sie sich gar nicht so viel Zeit gelassen... Gut, sie hat noch schnell den Topf vom Herd genommen, bevor sie zur Türe gegangen ist, aber das hat nicht besonders lange gedauert.
Na ja, offensichtlich so lange, dass der Gast wieder verschwinden konnte. Und wenn er nicht warten konnte, war es wohl auch nichts Wichtiges.
Sie zuckt mit den Schultern und schließt die Türe wieder. Bevor sie sich den Kopf über so eine Kleinigkeit zerbricht, kümmert sie sich lieber um wichtige Dinge.
In der Küche wartet eine frisch gekochte Suppe auf sie. Mary nimmt wieder ihr Messer in die Hand und hackt die Blätter, die auf ihrem Brett liegen - als sie vom Klingeln unterbrochen wurde, war sie gerade dabei, den Koriander zu zerkleinern.
Ja, das ist jetzt wichtig. Ihre  Familie und einige neue Freunde aus der Nachbarschaft warten schließlich auf ihre Suppe. Sie lieben Kürbisse und die Kürbisse passen auf alle Freunde in der Straße auf.

Victoria

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Neugierig auf mehr fantastische Geschichten....

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