jills Apfelbutter

Der Apfel – eine Versuchung » Jills Apfelbutter

Eine unglaubliche Geschichte von Nachbarn, die auch in Ihrer Umgebung wohnen könnten.
Gruseln garantiert.

Kennt ihr diese makellosen Menschen, die einem irgendwie suspekt sind? Man weiß nicht genau, was es ist, aber irgendetwas stößt einem bei diesen Menschen sauer auf. Sie lächeln einen mit ihrem makellosen Lächeln an, doch dahinter liegt etwas Komisches.
Ich denke, ihr habt jetzt ein Bild vor Augen und jetzt wisst ihr auch, wie Jill war. Aber fangen wir am Anfang an, dort, wo Jill noch genau so war - makellos und trotzdem hintergründig merkwürdig.
"Hallo, wie geht es euch?"
Wir befinden uns in einer typischen amerikanischen Vorstadtsiedlung - ein ordentliches kleines Haus neben dem anderen, darum jeweils ein ebenso ordentlicher Garten. Ja, auch wir sind in einem solchen Haus. Um genauer zu sein, stehen wir in dem Garten davor. Und auf der anderen Seite der Hecke, die unser Grundstück von dem benachbarten trennt, steht Jill.
Jill passt in diese Siedlung. Auch sie entspricht dem Klischee. Typische Vorstadtmutter mit blonden Haaren, die egal was passiert, immer gleich perfekt liegen, immer strahlend, immer fröhlich und immer um Kontakt mit den Nachbarn bemüht.
Sie wartet die Antwort nicht ab, spricht stattdessen gleich weiter. Damit wird endgültig klar, dass ihre Frage nur eine Floskel war und ihr ihre eigentliche Frage wichtiger ist.
"Wollt ihr zum Grillen hinüber kommen?  Bob hat zu viel Fleisch eingekauft."
Jill nickt zum Grill hinüber, wo ihr Ehemann Bob steht. Natürlich hebt er sofort die Hand und winkt lächelnd. Selbst Jills Entnervtheit wirkt makellos und selbstverständlich ist die Schusseligkeit ihres Mannes kein Problem, er ist ja schließlich auch makellos.
Ein kurzer Blick zu meiner Familie - sie zucken unisono mit den Schultern und nicken dann. Klar, Jill und Konsorten mögen zwar etwas merkwürdig sein, aber wer sagt schon nein zu gratis Essen?  Vor allem muss man unseren Nachbarn eines lassen: Kochen und Grillen können sie.
Ich wende mich also wieder Jill zu.
"Gerne. Sollen wir etwas mitbringen?"
"Ach, das ist nicht nötig, wir haben alles da!"
Natürlich winkt Jill ab - sie ist ja die perfekte Hausfrau. Aber gut, wie gesagt, uns soll es nur recht sein. Wir machen uns also auf dem Weg nach drüben und werden dort, kaum dass wir den Garten betreten haben, schon von unseren Nachbarn empfangen. Die kleinen Kinder wuseln um uns herum, Bob hat sich kurz von seinem Grill losgeeist, um uns zu begrüßen und auch Jill ist von der Partie. Sie packt mich am Arm und zieht mich zu sich, Richtung Haus.
"Du musst unbedingt mit mir mit kommen! Ich muss dir unbedingt meine Apfelbutter zeigen!"
Ich folge ihr bereitwillig. Nicht nur, weil das nun mal dazu gehört, wenn wir uns schon bei Jill durch schnorren, sondern auch, weil sie mich echt neugierig gemacht hat. Apfelbutter sagt mir nichts und dazu ihre Aufregung... Ich bin gespannt.
Unser Weg führt uns durch das Wohnhaus bis hin zur Küche, die anderen bleiben draußen im Garten. Nur Jill und ich - nur mir zeigt sie das große Geheimnis. Gut, vielleicht ist das Tamtam doch etwas übertrieben.
In der Küche riecht es schon sehr stark nach Apfel. Darunter mischt sich ein Hauch Zimt, aber trotzdem nicht allzu weihnachtlich - dafür sorgt eine saure Note. Essig? Ich weiß es nicht, doch so, wie Jill mich ansieht, werde ich es gleich erfahren.
Tatsache. Kurz geht sie hinüber zu einem Topf auf dem Herd, rührt darin herum, dann wendet sie sich wieder mir zu und strahlt mich an.
"Das wird Apfelbutter."
Ich trete neben sie und werfe einen Blick in den Topf. Darin kocht eine braune Masse vor sich hin. Sieht nicht unbedingt nach Butter aus.
"Und was ist da drin?"
"Keine Butter."
Jill lacht, als hätte sie einen richtig guten Witz gemacht. Dann winkt sie zu einem Punkt auf der Ablage. Dort sind mehrere Dinge aufgereiht, die scheinbar alle zur Apfelbutter gehören.
"Apfelmost, Zimt, Gewürze, Zitrone. Und natürlich Äpfel."
Bevor ich die Zutaten oder den Inhalt des Topfes weiter unter die Lupe nehmen kann, zieht etwas anderes seine Aufmerksamkeit auf mich. Von draußen kommt ein Schrei und der klingt definitiv nicht danach, als hätte ein Kind beim Spielen geschrien. Ich schaue durch das Fenster nach draußen und sehe einen von Jills Jungs vorbei rennen. Sein Gesichtsausdruck ist voller Angst.
"Jill?"
Jill ignoriert mich. Sie hat weder den Schrei noch ihr panisches Kind bemerkt.
"Apfelbutter ist ganz fantastisch. Das wirst du sehen, wenn du sie nachher probierst. Am besten isst man sie auf einem Stück Brot - eigentlich esse ich sie immer erst zum Frühstück, aber wenn ich sie frisch gemacht habe, kann ich einfach nicht widerstehen, da brauche ich dann sofort etwas davon."
Kurz sehe ich sie an, versuche, in ihr Lachen einzustimmen. Dann sehe ich wieder nach draußen und probiere, die anderen zu erspähen. Nachdem ich einen Schritt zur Seite, hin zu Jill, gemacht habe, sehe ich, dass der Rest unserer Familien dicht aneinander gedrängt in einer Ecke des Gartens steht. Und was ist das da vor ihnen? Das ist doch eine weitere Person, oder? Sie ist... grau. Ihre Kleidung, ihre Haut, alles.
Ich will Jill darauf aufmerksam machen, doch noch bevor ich die graue Person näher analysieren kann, packt sie mich wieder am Arm und zieht mich hinüber zu einem Regal, in dem lauter Äpfel aufgereiht sind.
"Meine Mutter hatte dieses Jahr so viele Äpfel und ich konnte einfach nicht widerstehen - ich musste sie mitnehmen!"
Wieder kommt von draußen ein Schrei - so angsterfüllt und schrill, dass mir das Blut in den Adern gefriert. Ich reiße mich von Jill los und hechte zum Fenster zurück.
Nun haben sich weitere Figuren zur ersten grauen Person gesellt. Sie umzingeln unsere Familien, die sich inzwischen aneinander klammern. Und dann dreht sich eine dieser Figuren um und sieht mich an.
Mein Herz setzt einen Schlag aus. Das Gesicht... Da ist kein Gesicht, zumindest kein richtiges. Es ist eingefallen, verwittert, verfault. Das bisschen Haut, das noch da ist, hängt teilweise in Fetzen weg, dem Wesen fehlt ein Auge.
Zombies. Diese Figuren sehen aus wie Zombies.
Jill ist dazu übergegangen, Gläser aus dem Schrank zu holen. Sie erzählt mir irgendetwas über Einwecken, doch ich bekomme nun gar nichts mehr mit. Da draußen im Garten sind Zombies und sie umzingeln unsere Leute!
"Jill! Wir müssen raus!"
Ich habe keine Ahnung, was wir tun sollen. Ob es nun etwas bringt, nach draußen zu gehen und - ja, und was? Kämpfen? Vielleicht sollten wir auch Hilfe rufen, selbst wenn ich nicht weiß, wen. Fest steht, dass es absolut gar nicht hilft, wenn wir in der Küche bleiben und über Apfelbutter reden.
Ist eigentlich einleuchtend. Jedoch nicht für Jill. Sie packt mich zum wiederholten Male am Arm und hält mich fest. Diesmal ist der Griff viel stärker als zuvor.
"Nein."
Mehr kommt erst einmal nicht. Sie lächelt mich an und die Süße ihres Lächeln widerspricht ihrem Griff - und ihrem Blick, denn der ist... besessen? Unheimlich, das auf jeden Fall. So unheimlich, dass ich mich nicht lösen kann und ihr gehorsam zum Herd folge. Dort nimmt sie einen Löffel in die Hand und schöpft damit einen Happen der Apfelbutter heraus.
"Probier mal! Die Apfelbutter ist bald fertig - ich habe sie jetzt schon fast zwei Stunden lang köcheln gelassen."
Ich starre auf die braune Masse auf dem Löffel. Aus dem Augenwinkel sehe ich, dass drei der Gestalten von den Menschen ablassen und aufs Haus zugehen. Sie schlurfen nur, sie sind unglaublich langsam, aber sie haben ein Ziel und das sind wir.
Und was tun wir? Apfelbutter probieren.
Ich starte einen weiteren Versuch, Jill zur Flucht zu bewegen.
"Jill, wir sollten wirklich-"
"Noch nicht probieren? Das muss keiner wissen, das bleibt unser kleines Geheimnis."
Sie zwinkert mir verschwörerisch zu und ich könnte vor Verzweiflung schreien. Warum lässt sie nicht zu, dass ich sie auf die Zombies aufmerksam machen?
Betreffende Zombies verschwinden nun aus meinem Blickfeld. Kurz darauf höre ich das Knacken einer Türe - Haustüre, vermutlich. Vor meinem Gesicht schwebt ein Löffel mit Apfelbutter und Jills manischer Blick wird langsam ungeduldig.
Ich schließe die Augen, öffne den Mund und probiere von der Apfelbutter. Sofort breitet sich eine fruchtige Süße in meinem Mund aus. Jill hat recht, die Apfelbutter ist wirklich gut.
Leider aber nicht so gut, dass ich die Gefahr vergesse, in der wir schweben. Vom Flur kommt das Geräusch von schlurfenden Füßen.
"Jill!"
Ein letzter Versuch. Doch es bleibt dabei, denn dann öffnet sich die Türe und ich blicke erneut in eines dieser verfallenen, verwesten Gesichter - nur mit dem Unterschied, dass es diesmal viel näher ist.
Wir sind eingeschlossen. Der erste Zombie schiebt sich in den Raum, die Türe wird blockiert vom nächsten, der auch Anstalten macht, in die Küche zu schlurfen. Nicht einmal das Küchenfenster ist ein Ausweg - als ich mich umdrehe, sehe ich, dass sich ein weiteres graues Gesicht gegen die Scheibe presst.
Ich erstarre. Selbst wenn ich wüsste, was ich tun sollte - ich könnte mich nicht mehr bewegen.
Jill dagegen ist weiterhin unbekümmert. Sie... Sie lacht. Der Raum füllt sich allmählich mit Zombies und sie lacht einfach. Was soll das?
"Ach, diese ungeduldigen Gierschlunde. Sie wollen auch probieren."
Mein Herz rutscht mir in die Hose. Ist sie etwa der Meinung, diese Zombies sind ihre Familie? Ich mustere die Gestalten, erkenne jedoch keine bekannten Gesichtszüge. Immerhin etwas.
Jill geht hinüber zu einer Schublade und öffnet sie. Dabei ignoriert sie den Zombie, der direkt daneben steht. Sie nimmt mehrere Löffel heraus, geht damit hinüber zum Topf und gibt auf jeden Löffel etwas Apfelbutter. Diese Löffel verteilt sie an die Zombies, die sie verwundert - soweit man das bei solch entstellten Gesichtszügen sagen kann - annehmen. Immerhin wissen sie, was sie damit tun sollen - sie schieben die Löffel in ihre Münder.
Nach einer Weile sind alle versorgt und jeder Zombie lutscht an einem Löffel. Ich sehe zu Jill, die sich wieder ihrem Topf zugewendet hat und nun summend darin herum rührt. Keine Erklärung von ihr, was das soll.
Dann macht es plötzlich einen Knall und der erste Zombie verpufft. Er ist einfach - weg. Erst hängt noch eine Staubwolke in der Luft, dort, wo der Zombie stand, doch dann verschwindet auch sie, als hätte es ausgerechnet an dieser Stelle einen leisen Lufthauch gegeben hätte.
Und noch bevor ich mir die Stelle genauer ansehen kann, gibt es den nächsten - und gleich noch einen - und noch einen - und noch einen. So verschwindet ein Zombie nach dem anderen, bis die Küche wieder - bis auf Jill und mich - leer ist.
Einen Moment brauche ich, um meine Sprache wiederzufinden, dann platzt es aus mir heraus.
"Was war das?"
Jill dreht sich zu mir um, sie lächelt - natürlich tut sie das. Von ihrem manischen Blick ist nichts mehr übrig, sie ist jetzt wieder von oben bis unten und rundherum die perfekte, makellose Vorstadtmutti von nebenan.
"Das war Apfelbutter. Unglaublich lecker, oder?"
Ich habe aus diesem Ereignis meine Lehren gezogen. Umgehend ließ ich mir von Jill ihr Apfelbutterrezept geben, ich habe es nachgekocht und in meinem Vorratsschrank befinden sich seitdem ständig ein paar Gläser Apfelbutter. Eine weitere Lehre wäre, dass ich Abstand zu Jill halten würde - ich weiß zwar immer noch nicht, was mit ihr an diesem Tag los war, aber geheuer ist mir ihr Verhalten immer noch nicht. Allerdings lässt sich das nicht umsetzen. Seit der Zombie-Attacke lädt Jill uns noch öfter zu sich ein. Und ich traue mich einfach nicht, ihr abzusagen.

Victoria

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Neugierig auf mehr unheilvolle Geschichten....

 

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