4. Advent

Der Dezember ist da! » 4. Advent: Weihnachtsbesuch

Weihnachtsbesuch ..... Weihnachten, das Fest der Liebe, das Fest, an dem man seine Liebsten um sich versammelt.
Doch manchmal mischt sich ein ungewünschter Besucher unter die Festgemeinde.
Horror zum Advent.
Jeden Sonntag gibt es einen neuen Besuch.

Nichts für schwache Nerven!

Lächelnd lehnt Bernd im Türrahmen. Eigentlich sollte er sich jetzt davonschleichen – die Türe ganz vorsichtig schließen, das Licht im Gang löschen und ins Wohnzimmer zurückkehren.
Später. Gleich. Er möchte noch ein bisschen stehen bleiben.
Die Nachtlampe, die Nils vom Weihnachtsmann bekommen hat, taucht den Raum in ein ganz schwaches Licht, das Licht vom Gang wirft einen helleren Streifen ins Zimmer. Ungestört davon liegen Nils und Lars in ihren Bettchen, die Augen geschlossen. Sie schlafen beide – sind beide nach dem aufregenden Abend fast umgehend eingeschlafen, als Bernd sie ins Bett gebracht hat.
Seine kleinen Racker… Vorher waren sie noch kaum aufzuhalten, jetzt sind sie wesentlich ruhiger. Und auch wenn er gerne so tut, als würde er sie nur ruhig ertragen, liebt er sie sowohl ungestüm als auch schlafend – und alles dazwischen.
Okay, nun ist aber wirklich Zeit, die beiden alleine zu lassen. Nur noch gucken, ob mit den Bettdecken noch alles passt, ob sie dort sind, wo sie sein sollen…
Nein, nicht nötig. Gerade vorher erst hat er sie ganz sorgfältig zugedeckt und hätte einer der beiden seine Decke weggestrampelt, hätte er das bemerkt. Er kann ganz beruhigt die beiden alleine lassen.
Dann mal ab ins Wohnzimmer. Das Zimmer des Grauens. Natürlich durften die Steppkes nur die schönen Seiten des Weihnachtsfests genießen, für alles andere ist er zuständig. Dementsprechend wartet auf ihn noch eine größere Aufräumaktion, bevor auch er an der Matratze lauschen darf. Geschenke sortieren, Geschenke aufräumen, Geschenkpapier wegwerfen… Klingt ja ganz überschaubar und genau das redet er sich ein. Klappt jedoch nicht, weil er ganz genau weiß, dass sich das ziehen kann. Nils und Lars waren sorgfältig, sie haben wirklich jedes Geschenk aus sämtlichen Verpackungen gerissen, haben jedes Geschenk getestet und das sieht man dem Wohnzimmer an.
Leider hat sich daran nichts geändert, als er ins Wohnzimmer kommt. Immerhin bemerkt er, dass sie einen Großteil der Verpackungen auf einen Haufen geworfen haben – das erspart ihm ein bisschen Arbeit. So muss er nur den Haufen durchgehen und nach Müllart sortieren.
Auch hier bleibt Bernd erst einmal im Türrahmen stehen. Sein Blick gleitet über das Chaos und obwohl er weiß, was ihm schwant, muss er lächeln. Sofort sind die Erinnerungen an vorher in seinem Kopf, daran, wie der kleine Nils seine Holzeisenbahn durchs Zimmer zog, daran, wie Lars ganz konzentriert versucht hat, die Polizeistation aufzubauen. Er hat es nicht geschafft und nur Bernds Versprechen, dass sie sich morgen darum kümmern, hat ihn dazu gebracht, es für heute gut sein zu lassen und ins Bett zu gehen.
Vielleicht sollte er den restlichen Aufbau übernehmen. Damit Lars eine fertige Polizeistation vorfindet, wenn er morgen früh aufwacht.
Nein, das sollte er nicht tun. Das ist Lars‘ Aufgabe, er muss das selbst machen. Würde Bernd das tun, wäre er ziemlich sicher ziemlich wütend. Da kann es ihm noch so sehr in den Fingern kribbeln – er darf das Spielzeug seines Sohnes nicht benutzen. Zumindest nicht, wenn es so offensichtlich ist.
Mitten im Raum liegt eine Papierrolle. Sieht nach Geschenkpapier aus – nach einem ziemlich großen Stück, das einer der beiden, vermutlich der etwas geschicktere Lars – verhältnismäßig ordentlich abgelöst hat. Sie ist auseinander gerollt und an den Ecken mit kleinen Farbtöpfchen beschwert, die weiße Seite zeigt nach oben, sogar von hier aus sieht Bernd die Farbflecken darauf. Ah ja, da hat dann wohl Nils seine neuen Fingerfarben ausprobiert, während sein Vater und sein großer Bruder damit beschäftigt waren, das Fundament für das Polizeipräsidium zu legen.
Dieses Kunstwerk muss er noch retten – im Gegensatz zur Polizeistation darf er es anfassen. Muss er sogar, sonst geht es noch kaputt. Eines der Eimerchen ist nämlich verrutscht, so dass sich die entsprechende Ecke aufrollt. Nicht, dass sie in die Farbe rollt…
Gleich. Das muss noch warten. Im Moment liegt das Papier ruhig da, es eilt also nicht. Lieber lässt er noch einmal die letzte Zeit Revue passieren.
Das Weihnachtsfest war ein voller Erfolg, könnte er sagen, wenn er seinen Berufsjargon benutzen würde. Aber das passt nicht – es ist mehr als das. ‚Voller Erfolg‘ ist so emotionslos und Emotionen waren da ganz viele im Spiel.
Vom Anfang bis zum Ende war alles wunderbar. Natürlich mit kleineren Problemchen, mit kleineren Reibereien, doch im Großen und Ganzen…
Sie haben das volle Programm durchgespielt. Adventskranz selbst basteln, Bernd hat den beiden jeweils einen Adventskalender gebastelt, sie haben sogar Plätzchen gebacken, von denen niemand außer ihnen etwas abbekommen hat, weil sie sie so schnell verdrückt haben. Dann haben sie zusammen das Wohnzimmer aufgeräumt, um Platz für den Baum zu haben, den sie gemeinsam geschlagen haben.
Auch das Aufstellen und Schmücken haben sie miteinander erledigt und obwohl der Baum in den Augen eines neutralen Betrachters ziemlich hässlich aussehen muss, ist es der schönste Baum, den Bernd jemals gesehen hat. Er repräsentiert sie, es ist ihr Baum, ihr Baum, den sie nach ihren eigenen Vorstellungen geschmückt haben. Und auch wenn andere Leute nicht gerade begeistert von auf Schnüren aufgefädelten Matchboxautos am Weihnachtsbaum wären, war es genau das, was sie wollten.
Dann noch die Bescherung…
Am liebsten würde Bernd die Zeit zurückdrehen, zumindest die letzten paar Stunden noch einmal durchleben. Es war so idyllisch, so besinnlich, aber gleichzeitig auch entspannt und fröhlich – ein voller Erfolg eben.
Die Jungs würden das wohl anders sehen. Sie haben so sehr auf die Bescherung hingefiebert, sie waren so glücklich, als sie endlich ihre Geschenke öffnen durften. Bernd ist sich ziemlich sicher, dass sie sich das nicht mehr wegnehmen lassen würde.
Okay, nun hat er aber wirklich genug sinniert. Bernd macht ein paar Schritte in den Raum hinein, überlegt sich dabei, wo er am besten anfängt. Beim Müllberg macht es wohl am meisten Sinn – dann kann er den anderen Müll, der noch auftaucht, gleich richtig sortieren.
Auf dem Weg dorthin erblickt er die Zeichnungen, die auf der Couch liegen. Die beiden waren richtig kreativ – oder einfach nur so aufgeregt, dass sie dieser Aufregung mithilfe von ziemlich vielen Zeichnungen freien Lauf lassen mussten. Auf mehreren ist das Weihnachtsszenario zu sehen, Lars hat sogar ein paar seiner Geschenke treffsicher gemalt.
Zumindest interpretiert Bernd die Zeichnungen so. So gerne die Jungs auch malen – große Künstler sind sie noch nicht. Noch sind sie nicht an dem Punkt angelangt, an dem Bernd nicht mehr verzweifelt, wenn Lars ihm ein Bild unter die Nase hält und ihn fragt, ob er erkennt, was darauf zu sehen ist.
Mh, er könnte ja kurz noch einmal die Bilder ansehen…
Bernd nimmt auf der Couch Platz, er schnappt sich die Zeichnungen und blättert sie durch. Sein Lächeln wird von Blatt zu Blatt tiefer – auch wenn er nicht ganz sicher ist, was das alles darstellen soll, berührt es ihn, wie viel Mühe sie sich gegeben haben, um ihm ein schönes Weihnachtsgeschenk bieten zu können.
Ein Bild von einem Weihnachtsbaum mit einem großen Rennauto darunter – gut, Lars hat ein wesentliches kleineres Exemplar bekommen, lag aber trotzdem nicht allzu weit daneben -, ein Bild von Rudolph, dem Rentier mit der roten Nase, dessen Geschichte Bernd den beiden vorgelesen hat, wieder zwei Weihnachtsbaumbilder, erst eines, auf dem die Polizeistation zu sehen ist, die Lars tatsächlich bekam, dann eines, auf dem drei Strichmännchen vor dem Baum stehen, ein Bild, auf dem nur eine Hand zu sehen ist, wieder ein Weihnachtsbaumbild, diesmal von Nils. Der Baum ist nur an den Farben zu erkennen – da hat Lars ihm vermutlich geholfen. Und das, was unter dem Baum liegt, ist unkenntlich.
Das Lächeln bleibt, als Bernd die Blätter zur Seite legt und sich erhebt. Jetzt ist es aber wirklich höchste Zeit für die Aufräumaktion.
Das Altpapier lässt er vorerst beiseite, als erstes will er sich um die Zeichnung seines Jüngsten kümmern. Nicht, dass doch noch etwas passiert… Auch wenn es ihm selbst vermutlich mehr wehtun würde als Nils. Der hat noch keine Ahnung, was ‚ideeller Wert‘ bedeutet.
Als er vor dem bemalten Geschenkpapier steht, erkennt er erst, was darauf zu sehen ist. Keine Farbkleckse – zumindest keine sinnlosen Farbkleckse. Es sind Buchstaben.
Buchstaben.
Seine Jungs können noch nicht schreiben.
Für einen Moment fühlt es sich an, als würde die Welt stillhalten. Er starrt fassungslos auf die Buchstaben, sieht, dass sie von jemandem stammen müssen, der mehr als nur ein paar zufällige Striche gemalt hat, doch er schafft es nicht einmal, die Buchstaben bewusst wahrzunehmen, sie zu lesen. Ebenso wenig kann er darüber nachdenken, was das zu bedeuten hat – auch sein Denken steht still.
Dann gerät alles wieder in Schwung, sein Blick gleitet weiter und er sieht die Hand.
Eine Hand. Eine schmale Frauenhand mit blau lackierten Fingernägeln liegt am Rande des Papiers, dort, wo die aufragende Ecke einen Schatten bildet. Ihre Fingerspitzen sind bunt, Bernd erkennt sofort die Fingerfarbe.
Eine Hand. Eine abgetrennte Hand, die am Ende der Botschaft liegt, so, als wäre sie zusammengebrochen, nachdem sie die Botschaft zu Ende geschrieben hat. ‚Hilfe‘ steht dort, ganz groß, ganz krakelig, in allen Farben, die die kleinen Farbtöpfe hergeben.
Plötzlich verlangsamt sich die Welt wieder, er fühlt sich, als würde alles in Zeitlupe ablaufen. Bernd schlägt sich die Hand vor den Mund, er macht einen Schritt zurück, spürt etwas an seinem Fußgelenk, bemerkt, wie er den Halt verliert. Noch im Fall erlangt er die Erkenntnis, dass das, wogegen er gestoßen ist, die Holzeisenbahn des Kleinen gewesen sein muss, dann kommt er auf den Boden auf. Sogar das laute Knacksen hört er noch.
Dann hört, fühlt und sieht er nichts mehr.

....... gespannt auf den nächsten Besuch? Nächsten Sonntag geht es weiter!

Victoria

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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